Interview mit Erik - Meine Sicht (als Mann) auf Hürden in der IT-Branche

November 10, 2020

Kannst Du dich kurz vorstellen?

Ich bin Erik, Ingenieur und habe mal Mechatronik studiert. Das hat mit Programmierung per se erstmal absolut nichts zu tun, ist aber auch nicht ungewöhnlich für Programmierer. Mittlerweile habe ich die Erfahrung gemacht, dass vielleicht 30-40 Prozent der ProgrammiererInnen jemals Informatik studiert haben. Wie das dann so ist nach dem Studium, probiert man den einen oder anderen Job mal aus und bei mir ist das so gekommen, dass ich mehr und mehr programmiert habe. Am Anfang hatte das wirklich auch noch viel mit Ingenieursarbeit zu tun, mittlerweile ist es pure und teilweise auch sehr abstrakte Programmierung. Momentan arbeite ich bei Otto und betreue dort die Ausspielung von Online-Werbung.

Meine Erfahrung mit diversen Tech Teams

Ich habe die Beobachtung gemacht, je backend-lastiger die Programmierung wird, desto mehr nimmt tatsächlich auch der Frauenanteil ab. Ich arbeite in der Business Intelligence, das ist sehr Daten getrieben. Bei den Daten-AnalystInnen, welche neue Erkenntnisse aus Daten gewinnen, wird der Anteil wieder ein bisschen besser, aber bei den Daten-IngenieurInnen, welche die Daten wiederum bereinigen und für die Daten-AnalystInnen aufbereiten, ist das frappierend wenig.

Ich habe etwas mehr als zwei Jahre in einem Team gearbeitet, das tatsächlich zu 40 Prozent aus Entwicklerinnen bestand und das ist ein anderes und sehr angenehmes Arbeiten. Nicht einfacher, aber dadurch, dass man mehr Blickwinkel auf ein Problem hat, kommen bessere Lösungen dabei rum. Das sollte an sehr viel mehr Stellen der Fall sein und deswegen hat mich das Mentoringprogramm von Euch sehr begeistert. So habe ich die Möglichkeit, meinen Beitrag zu leisten, sodass sich hoffentlich Etwas ändert.

“..möchte ich Strukturen ändern und nicht, dass Frauen sich männlichen Verhaltensweisen angleichen”

Ich habe in dieser Welt Vorteile, die nicht jeder hat, auch wenn viele das Gegenteil behaupten, auch Frauen. In meinem Kolleg*innenkreis habe ich tatsächlich Frauen erlebt, die sagten: “Wieso, ich habe doch gar kein Problem, ich kann doch machen was ich will.” Ja, wenn du dich patriarchalischen Strukturen anpasst und sie mitspielst, dann durchaus. Das wäre aber nicht mein Ziel. Eigentlich möchte ich Strukturen ändern und nicht, dass Frauen sich männlichen Verhaltensweisen angleichen.

“.. ich fand es sehr gut, dass das Mentorenprogramm auch um die technische Schiene erweitert wurde, dass man wirklich technisch helfen kann”

Meiner Mentee versuche ich Woche für Woche meine Welt ein bisschen zu erklären. Ein ganz großer Teil davon ist Angst nehmen, weil Programmieren lernen enorm einschüchtern kann.

Am Anfang war das Mentorenprogramm ja eher auf Karriereberatung ausgelegt und da ich weiß, männlich und jung bin, also die Häufung aller Privilegien, die man haben kann, kann ich sehr schlecht Tipps geben, wie man eigentlich in die Programmierwelt rein findet. Mir stehen keine Grenzen im Weg, ich hatte keinerlei Zugangsbeschränkungen und deswegen kann ich ja schlecht einer Frau sagen: “Ja mach doch einfach! Es ist gar nicht so schwer.” Das wäre gelogen. Wenigstens weiß ich das. Deswegen fand ich es eigentlich sehr gut, dass das Mentorenprogramm auch um die Schiene erweitert wurde, dass man wirklich technisch helfen kann. Das liegt mir, das macht mir Spaß und da freue ich mich, dass ich das weitergeben kann.

Meine Erfahrung mit anderen Initiativen

Bevor ich bei moinworld angefangen habe, habe ich tatsächlich eine Zeit lang Kindern programmieren beigebracht. Diese konnten samstags für vier oder fünf Stunden kommen. Sie mussten allerdings Projekte oder Fragen mitbringen, bei denen wir ihnen dann geholfen haben. Ich habe damit aufgehört, weil ich das irgendwann als nicht mehr sehr zielführend empfunden habe. Meiner Beobachtung nach, hat das auch mal wieder vor allem junge Mädchen abgeschreckt. Ich habe einfach beobachtet: Okay, die kommen einmal und nie wieder, das Format scheint für sie nicht zu funktionieren. Die Jungs sind dagegen immer wieder gekommen, weil sie es eh schon konnten. Wir hatten da ganz viele dabei, die begabt waren und nicht wirklich Hilfe, sondern nur den Raum brauchten – hier können sie sitzen und mit dem Computer rumspielen. Und für die Mädchen hat das anscheinend nicht funktioniert. Das lag auch daran, dass wir uns als Tutoren nicht genug Mühe gegeben haben. Wir hatten einfach den Anspruch, die kommen dahin, erzählen uns, was sie machen wollen und dann helfen wir ihnen, dass irgendwie hinzubasteln. Das war anscheinend für die Zielgruppe, die ich erreichen wollte, nicht die richtige Art, Dinge zu erzählen. Und so wurden es immer weniger Mädchen.

“..eigentlich sind wir alle nur glorifizierte Versionen von Suchmaschinen”

Frauen, die im Tech-Bereich anfangen wollen, würde ich empfehlen, sich nicht abschrecken zu lassen. Es wird dir oft genug erklärt oder unbewusst mitgegeben werden, dass es nicht klappen wird oder du wirst selbst das Gefühl haben, dass es nicht klappen kann. Das musst du überwinden. Es gibt ja diesen (un-)schönen Effekt, wenn bei Ausschreibungen für Jobs zehn Skills aufgelistet sind, sich Männer bewerben, wenn sie einen der zehn Punkte erfüllen. Frauen bewerben sich hingegen erst, wenn sie elf von zehn Skills erfüllen - übertrieben gesagt. Ich glaube, wenn man Programmieren lernen will, muss man einfach machen, einfach probieren. Ein Großteil der Sachen, die ich tagtäglich mache, kann ich nicht, sondern die lasse ich mir vom Internet erklären. Ich sage auch öfter mal gerne, eigentlich sind wir alle nur glorifizierte Versionen von Suchmaschinen. Sich selbst eingestehen, dass es okay ist, es nicht zu wissen und es einfach herauszufinden. Dann kommt man schon ein Stückchen weiter.

Das Problem an Programmierern und der Welt, die sie sich bauen, ist Folgendes: Dadurch, dass es 90 Prozent plus Männer sind, bauen sie sich die Welt natürlich auch so, dass sie für 90 Prozent Männer gedacht ist. Das äußert sich in Kleinigkeiten, aber auch in größeren Aspekten. So werden zum Beispiel Dokumentationen von Programmen so geschrieben, dass sie gut für (männliche) geübte Programmierer funktionieren. Das ist so ein kleiner Aspekt, der sich aber in ganz vielen anderen Punkten hoch aggregiert. Das kann enorm abschreckend sein, wenn man da reinkommen will. Es hilft auch nicht, dass Programmierer gerne mal so tun, als sei alles gar nicht so schwer, sondern diese 20 Zeilen Code zu schreiben, ganz simpel. Häufig mischt sich das noch mit der Tatsache, dass diese Männer “eigentlich schon immer” programmieren. Ihre Erfahrung, wie schwer es ist, dieses Handwerk zu lernen, also schon ziemlich weit zurück liegt. 20 Zeilen Code können gerne mal sehr kryptisch und unverständlich sein, selbst dann, wenn man sie selbst geschrieben hat.

Erik ist als Mentor Teil unseres Mentoring Programms. >Bewirb dich noch heute hier. Ein moinworld Mitglied wird sich innerhalb einer Woche bei dir melden. Sind noch Fragen offen? Kontaktiere uns über mentoring@moinworld.de.

Mehr Infos zu unseren weiteren Mentoren gibt es hier.

Und ihr?

Wenn auch ihr Lust habt, mit Eurer Geschichte anderen Mut zu machen wendet Euch gerne an uns! moin@moinworld.de