Wie die IT attraktiver für das weibliche Geschlecht wird

June 11, 2019

Warum gibt es so wenig Frauen in der IT? Ist eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird, seitdem ich moinworld gegründet habe. Nicht einmal ein Zehntel der IT-Abteilungen sind heute mit weiblichen Mitarbeitern besetzt. Dabei sollte es nicht vom Geschlecht abhängig sein, ob eine Person in der Lage ist, unsere digitale Zukunft mitzugestalten.“Demand for skilled ICT professionals is growing: 90% of jobs require basic digital skills. As a new Commission study on “Women in the Digital Age” shows, more women in digital jobs could create an annual €16 billion GDP boost in the EU, not least by improving the start-up environment, as female owned start-ups are more likely to be successful. We know that growth would go up if women and girls had the same opportunities as men. But there’s so much more to the case for women’s equality than economic growth, and that is the social dimension. Gender equality is about fairness across society as a whole, and something from which everyone could benefit.“(Blogpost Europäische Kommission Roberto Viola, Women in Digital: more than numbers)

Eine Auseinandersetzung mit den Gründen ist daher wichtig. Ich möchte daher meine Thesen zu dem Thema gerne mit Euch teilen!

“No more boys and girls”

Meiner Meinung nach fängt das Problem ganz früh an: mit der Sozialisation als Mädchen. Im familiären Umfeld werden Mädchen selten ermuntert, sich in naturwissenschaftlich-technischer Richtung zu orientieren. Es ist immer noch akzeptiert und unterbewusst auch bei Frauen selbst als Denkfehler verankert, das “Frauen und Technik” nicht zusammen gehören. “The low participation of women in the digital economy has complex and multifaceted roots. The main obstacles are gender bias and socio-cultural constructs, which at different life stages dissuade girls and women from taking up Science, Technology, Engineering and Mathematics (STEM) studies and careers.” (European Commission, Strategy Digital Single Market April 2019)

Gerade läuft übrigens auch eine Sendung im ZDF, die ähnlich der bereits im BBC ausgestrahlten Serie “No more boys and girls” ist. Auch in dieser Dokuserie bestätigt sich, dass veraltete Rollenbilder leider nicht veraltet sind. Dass sie auch Grundschulkinder in Deutschland stark verinnerlicht haben. Die Links zu beiden Dokumentationen findet ihr am Ende dieses Artikels.

Auch im schulischen Umfeld gibt es noch LehrerInnen, die Schülerinnen, oft auch unbewusst, spüren lassen, dass Fächer wie Mathematik, Physik, Informatik etc. “nichts für Mädchen” sind und eine Unbegabung in diesen Fächern für Mädchen natürlich ist. Aufgrund ihrer Sozialisierung machen auch noch viel zu wenige Frauen bei vielseitigen Interessen ihre Berufswahl abhängig von den besten Berufs- und Verdienstaussichten. Bei unserem Schulprojekt moinschool war die dazu passende Aussage der Mädchen “Wir dürfen jetzt auch arbeiten. Jungs müssen Geld verdienen.” Wiederum andere Frauen fürchten ein Studium der Informatik oder Elektrotechnik würde sie unweiblich und weniger attraktiv machen.

Bei moinworld haben wir daher ein weiteres Angebot geschaffen, welches dafür sorgt, dass Mädchen möglichst früh mit dem Thema programmieren in Berührung kommen. Wenn man bereits ab fünf Jahren Spaß an der Sache entwickelt, kommt man hoffentlich später nicht auf die Idee, dass man keine Begabung für das Thema hat. Gleichzeitig sind wir mit unserem Programm moinschool an Schulen aktiv und sorgen dafür, dass Schülerinnen Informatik Unterricht bekommen und gleichzeitig mit einem Unconscious-Bias-Training über die Macht unterbewusster Denkfehler aufgeklärt werden.

Zu wenig Frauen, die als Vorbilder sichtbar sind

Das aktuelle Ungleichgewicht der Geschlechter in der Informatik sorgt zusätzlich dafür, dass es zu wenige sichtbare Vorbilder für Mädchen gibt, die einen entsprechenden Studien- und Berufsweg eingeschlagen haben. So nehmen Frauen die Informatik häufig gar nicht als attraktives Berufsfeld wahr. Das Frauen die Geschichte der Informatik mitgeschrieben haben und dass Softwareprogrammierung früher ein weiblicher Job war, ist kaum jemandem bekannt. Die Mathematikerin Ada Lovelace gilt beispielsweise als die Begründerin der Informatik. Grace Murray Hopper war die Erfinderin des Compilers. Es ist durchaus spannend sich mit der Geschichte der Softwareprogrammierung zu beschäftigen und zu erfahren, warum Programmieren in der Geschichte plötzlich zu einem Fach männlicher Nerds wurde. Entsprechende Quellen verlinke ich unten.

Abgeschreckt von Nerd Typen

Was heute ein weiterer Grund ist, warum Frauen dem Fach fernbleiben. Junge Frauen werden von “Nerd”-Typen eher abgeschreckt. Auch wenn natürlich nicht alle Softwareingenieure Nerds sind, hat die Informatik definitiv ein Imageproblem.

Dies bestätigt sich auch bei unseren Workshops an Schulen. Es herrscht eine klare Vorstellung davon, wie die Person, die sich mit Computern auskennt, aussieht. Um dem zu begegnen und das Bild zu verändern versuchen wir, die Mädchen bei uns im Verein mit den Frauen aus der Branche zu vernetzen und diese sichtbarer zu machen. Ob dies über die gerade laufende Instagram Kampagne ist, unser Summer Camp, bei dem die Mädchen in Kontakt mit Role Models kommen oder unsere Youtube Serie über Frauen in der IT.

Die eigene Leistung wird in Frage gestellt - unconscious bias bei HRlern, Kollegen und Vorgesetzen

Im Job angekommen gibt es viele Unternehmen, die nur aus Imagezwecken kommunizieren, dass Frauen in ihrem Unternehmen willkommen sind. Studien zeigen, dass Menschen dazu neigen, eher Menschen einzustellen, die ihnen ähnlich sind. In der Tech-Branche bedeutet das: männlich, um die 30, weiß - in entsprechenden Management Positionen etwas älter, männlich, weiß. Frau ist häufig damit konfrontiert die eigenen Leistungen nicht anerkannt zu bekommen. Als Bewerberin passt man somit auf den ersten Blick nicht in das Bild von den Wunschkandidaten für eine offene Stelle. Im männlich dominierten Berufsfeld haben die Kollegen zudem das bessere Netzwerk – und grenzen ihre Kolleginnen unbewusst aus.

Was müsste sich ändern, damit mehr Frauen in technische Berufe einsteigen?

Nach Yuval Harari ist die wichtigste Fähigkeit in einer Zukunft, in der Algorithmen unser Leben bestimmen, dass wir uns selber möglichst gut kennen. Dazu gehört auch, dass wir über unsere Biases und ihre Auswirkungen Bescheid wissen. Es ist ein Denkfehler, dass Frauen und Technik nicht zusammen gehören. Ohne eine entsprechende öffentliche Diskussion und Aufklärung über diese Denkfehler wird sich hieran nichts ändern und wir verschenken quasi Talente, die den Fachkräftemangel ausgleichen und die Innovationskraft erhöhen könnten. Ein Paper der OECD fasst dies folgendermaßen zusammen: “Greater inclusion of women in inventive activities is good not only for women themselves, but also for stronger economic growth and enhanced societal wellbeing. Inventions arising out of mixed teams, or women-only groups, appear to have wider technological breadth (and may therefore be more economically valuable) and higher impact than those in which only men are involved.”

Weiterhin muss sich das Image der Informatik ändern. “The way in which technology, science and the digital industries are presented as a man’s world in the media, advertising and statements by high-profile figures does not help..” (Blogpost Europäische Kommission Roberto Viola, Women in Digital: more than numbers). Der wohlgenährte Nerd-Kult des Außenseiters, der lieber still im Kämmerlein arbeitet, wenig kommunikativ ist und außer Computern wenig Interessen hat, ist nicht hilfreich. Anspruchsvolle IT-Jobs erfordern kommunikationsstarke, kreative Persönlichkeiten mit Fingerspitzengefühl und diplomatischem Geschick und keine Nerds. Wir brauchen Personen, die zusammen in einem Team Lösungen für Nutzer entwickeln können.

Ebenfalls muss die Gesellschaft dafür sorgen, dass Mädchen im Grundschulalter bereits für das Feld der IT begeistert werden. Studien deuten darauf hin, dass Mädchen ca. im Alter von sechs Jahren aufgrund ihrer Sozialisierung das Selbstbewusstsein verlieren, was die Kompetenz ihres eigenen Geschlechts und Naturwissenschaften anbelangt. Es ist daher wichtig, dass Mädchen mit dem Fach in Kontakt kommen, bevor sie ihr Selbstbewusstsein verlieren. Das kann und sollte insbesondere auch in der Schule geschehen. Informatik wird aber immer noch nicht flächendeckend als Schulfach überhaupt angeboten. Selbst wenn, ist es oft kein Pflichtbestandteil des Unterrichts. Das in einem Zeitalter in dem Software unser Leben bestimmt und ein wesentliches Medium der gesellschaftlichen Teilhabe und (Mit-)Gestaltung ist.

Ein funktionierendes Beispiel wie das Image des Faches Informatik verbessert werden kann, sind sogenannte Bindestrich Informatikstudiengänge. So beträgt der Anteil an Frauen in der Medizininformatik 44 Prozent. Studiengänge müssen deutlich machen, wofür es sich lohnt, Informatik zu studieren und was die Möglichkeiten sind, die sich einem mit einem Studium der Informatik eröffnen.

Anja Schumann

moinworld

Angebot für Mädchen ab 5 Jahre: lest mehr dazu hier

Mehr über unser Schulprogramm moinschool könnt ihr hier lesen.

Youtube Serie über Karrieren in der IT: link zu unserer Playlist

Studie der OECD Bridging the Digital Gender Divide

Vortrag zur Geschichte der IT

No more boys and girls: BBC (englisch)

No more boys and girls: BBC (deutsch)

Girls lose faith in their own talents by the age of six

Yuval Harari Youtube