January 23, 2021
Informatik als Pflichtwahlfach ist nur sinnvoll, wenn der Unterricht auch gut gemacht ist und das Thema spannend vermittelt wird. Teilweise werden Schüler*innen in MINT Fächern abgehängt und dann entsteht eine Abneigung “kann ich nicht, will ich nicht”.
Wie können wir mehr Mädchen für Informatik an der Schule begeistern? Wir haben Schülerinnen gefragt und und mit Jola und Lilian über ihre Motivation zu MINT Fächern unterhalten. Die beiden engagieren sich gerade bei moinworld und besuchen die 11. Klasse eines Gymnasiums der Hamburger Vororte. Lest über ihre Motivation sich mit Informatik und Naturwissenschaften zu beschäftigen und ihre Anregungen dazu, wie Schule das Thema besser in Angriff nehmen könnte.
Jola:
Ich bin Jola, derzeit gehe ich in die 11. Klasse und belege Physik als Profilfach. In der Schule nehme ich seit über zwei Jahren am Fach Informatik teil, welches mittlerweile zu einem meiner Lieblingsfächer zählt. In diesem Zusammenhang konnte mich die Programmierung begeistern und mein Interesse für die IT-Branche wurde geweckt. In meiner Freizeit mache ich gerne Musik (Trompete) und reite gerne.
Lilian:
Ich bin Lilian und besuche ebenfalls die 11. Klasse und bin auch im Physikprofil. Privat interessiere ich mich auch für Raumfahrt. Ich habe in der Schule nicht Informatik gewählt, weil ich mich zwischen Chemie und Informatik entscheiden musste und ich bereits wusste, dass mir Chemie Spaß macht. In meiner Freizeit lese und fotografiere ich gerne.
Wie ist bei Euch die Verteilung der Interessen bei Mädchen und Jungen an der Schule? Ist es noch so, dass Mädchen eher klassische Mädchenfächer wählen?
Jola:
Der Anteil an Jungen ist insbesondere in den Fächern Informatik und Physik deutlich höher. In den anderen MINT Fächern, also Chemie und Biologie ist es eher ausgewogener, gerade in Biologie.
Lilian:
Im Physikprofil war ich eine Zeit lang das einzige Mädchen bis Jola dazu kam. Die anderen Mädchen haben eher das Sprachprofil gewählt.
Wie sieht es speziell bei dem Fach Informatik aus?
Lilian:
Informatik wird bei uns in der achten und neunten Klasse als Wahlfach angeboten. Ab der Wahl der Profile können nur die naturwissenschaftlichen Profile, Physik, Chemie und Biologie, das Fach Informatik wählen. Und auch dann muss man sich entscheiden welche naturwissenschaftliche Fächer man neben dem Profilfach belegen möchte. Ich musste mich zum Beispiel zwischen Chemie und Informatik entscheiden.
Jola:
Dadurch, dass sich bereits weniger Mädchen für ein naturwissenschaftliches Profil entscheiden, ist der Anteil an Mädchen speziell in dem Fach Informatik sehr gering. Aktuell sind wir 17 Schüler im Fach Informatik, davon nur vier Mädchen. In der Mittelstufe war der Anteil an Mädchen höher, ca bei einem Drittel. Die Tatsache, dass man später Informatik nur in Zusammenhang mit anderen Naturwissenschaften belegen kann schließt Mädchen aus, die meist eher andere Profile wählen.
Was meint ihr, hat Euch dazu bewogen, eher in die MINT Richtung zu gehen? Welche Rolle meint ihr spielt Euer Elternhaus?
Jola:
Die Erfahrungen und Berührungspunkte, die man in der Kindheit und im Elternhaus mit den MINT-Fächer hatte, spielen bestimmt eine wichtige und unterbewusste Rolle bei der Entscheidung in diese Richtung zu gehen. Ich war bereits in der Grundschule gut in Mathe und wurde immer von meinen Eltern in meinem Interesse unterstützt. Meine Eltern sind beruflich zwar nicht in der MINT-Richtung, aber meine Mutter hatte in der Schule Mathe Leistungskurs und konnte sich immer für Mathe begeistern. Ich habe bei Mitschülerinnen erlebt, dass sie schon vorher von ihren Eltern beeinflusst wurden in dem die Eltern sich Sorgen um die MINT Fächer gemacht haben und diese Ängste dann quasi auf das Kind übertragen wurden. Viele Eltern nehmen Kindern speziell Mädchen den Mut, wenn sie Bedenken gegenüber den MINT-Fächern äußern, wie zum Beispiel “das sie schwer sind oder einem damals selbst schwer gefallen sind”.
Lilian:
Mich begeistern Naturwissenschaften schon lange und ich liebe die Physik. Das Elternhaus spielt auch meiner Meinung nach eine tragende Rolle. Mein Vater ist Informatiker und die Wissenschaft hat mich meine gesamte Kindheit lang begleitet. Wir haben in der Familie schon sehr früh über Wissenschaft geredet und viele Fragen gestellt, daher war es für mich klar, dass ich in die MINT-Richtung gehe. Meine Eltern haben auch nie geschlechterspezifisch unterschieden und beispielsweise meinen Bruder mehr für die MINT-Richtung ermutigt als mich.
Was macht ihr im Informatikunterricht?
Jola:
Jetzt in der Oberstufe müssen die Lehrer sich glaube ich an den Lehrplan halten. Von den Themen her nimmt Programmieren auf jeden Fall einen Teil ein, meistens Python oder Java. Das kommt immer ein wenig auf den Lehrer oder die Lehrerin an. Außerdem haben wir theoretische Themen, wie zum Beispiel Informatik und Gesellschaft oder wir lernen was Machine Learning ist. In der Mittelstufe haben wir z.B. auch Scratch ausprobiert, uns mit Bildbearbeitung beschäftigt.
Meint ihr, dass Informatikunterricht wichtig ist für die Zukunft von Schülerinnen? Was lernt man dort, was man in anderen Fächern nicht lernt?
Jola:
Ich finde, Informatik sollte ein Pflichtfach sein und ich kann es jeder Schülerin empfehlen zu belegen. Außerdem halte ich es für wichtig, dass man ein Grundverständnis für die Informatik bekommt. Zudem finde ich die Logik in Informatik sehr interessant, die ich in anderen Fächern noch nicht vermittelt bekommen habe. In Mathe oder Physik bringt diese Herangehensweise auch Vorteile mit sich, die ich aber erst in Informatik gelernt habe. Auch bei mir hat es eine Zeit gedauert, bis es “Klick” gemacht hat zu verstehen wie Computer “denken” bzw Programme funktionieren. Dass der Computer immer nur genau das tun kann, was man selbst Ihnen vorgibt.
Lilian:
Informatikunterricht für Schülerinnen und Schüler halte ich ebenfalls für wichtig. Insbesondere die Themen Internetsicherheit, ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Internet und PC-Grundkenntnisse, sollte jede/r vermittelt bekommen. Ich würde aber nicht sagen, dass es ein Pflichtfach sein sollte - wobei ich mir hier nicht sicher bin. Denn das Interesse in einem Fach hängt, finde ich, immer stark vom Unterricht ab. Ist der Unterricht langweilig gestaltet, könnte es eher abschrecken als motivierend sein. Grundsätzlich lernt man in der Schule Dinge in einer Tiefe von der man sich fragt, ob man sie später jemals wieder so braucht. Informatik als Pflichtfach könnte auf der einen Seite mehr Leute für das Thema interessieren, was ja für die Gesellschaft sehr wichtig ist, weil wir immer mehr Informatiker brauchen werden je weiter die Digitalisierung voranschreitet. Andererseits kann es passieren, dass das gleiche passiert wie mit Physik und Chemie. Das es schlecht unterrichtet wird und die Leute das Thema von vornherein ausschließen. Informatik als Pflichtwahlfach ist nur sinnvoll, wenn der Unterricht auch gut gemacht ist und das Thema spannend vermittelt wird. Teilweise werden Schüler*innen in MINT Fächern abgehängt und dann entsteht eine Abneigung “kann ich nicht, will ich nicht”.
Was mir grad noch einfällt, was Informatik einem vermittelt ist die Wichtigkeit von Englisch. Ich weiß nicht, wie vielen Schüler*innen tatsächlich klar ist, wie wichtig Englischkenntnisse später sind in allen Bereichen.
Was meint ihr müsste getan werden, dass sich mehr Mädchen für diese Fächer interessieren?
Jola:
Man sollte bereits vor der Mittelstufe, bevor man die Wahl treffen kann das Fach zu wählen oder nicht vermittelt bekommen, was die Informatik darstellt, was daran Spaß macht und, dass es eben nicht nur etwas für Jungen ist. Es müssen die Klischees aufgebrochen und Mädchen gezielt angesprochen und ermutigt werden! Am besten ab einem sehr Jungen Alter.
Lilian:
Ich würde sagen, einfach Unterricht so gestalten, dass er die Leute tatsächlich mitreißt und nicht nur die Leute, die vorher schon eine Begeisterung für das Thema hatten. Denn das sind ja aufgrund unserer Gesellschaft ja immer noch Jungs die von sich aus damit anfangen. Es muss so sein, dass man bei Null anfängt und das jeder in das Thema reinkommen kann. Eigentlich müsste sich natürlich die Gesellschaft so ändern, dass es einfach keine Frage mehr ist. In der Schule muss klar sein, dass es etwas für alle ist. Wenn man merkt, dass es Spaß macht dann vergißt man auch dass vorher mal jemand gesagt hat das ist für Mädchen, das ist für Jungs. Dann ist es nicht mehr ein Mädchending oder Jungsding sondern es ist dein Ding. Und Schule sollte es schaffen, dass Thema zum Ding der Kinder zu machen und zu versuchen alle zu begeistern. Momentan ist es so, dass der Lehrer oder der Unterricht nichts ändern. Es muss klar kommuniziert werden, dass Informatik ein Thema für Jungen und Mädchen ist: Bestehende Vorurteile oder Ängste müssen dabei gezielt Mädchen genommen werden. Spaß und Begeisterung für das Fach sollten in den Vordergrund treten.
Jola:
Da fällt mir noch etwas ein: Man sollte versuchen Erfolgserlebnisse für Schüler*innen zu schaffen. Ich glaube durch Erfolgserlebnisse ist man generell viel motivierter dabei zu bleiben und auch bei schweren Aufgaben dabei zu bleiben. Für diese Erfolgserlebnisse sollte man klein anfangen und noch nicht zu viel voraussetzen.
Wie fühlt man sich als einziges Mädchen im Informatik Unterricht? Wie verhalten sich die Jungs? Das Lehrpersonal?
Jola:
Man gewöhnt sich daran und bei uns verhalten sich die Jungs sehr nett und auch die Lehrer unterscheiden nicht zwischen Jungen und Mädchen. Allerdings glaube ich, dass sich die Lehrer schon drauf einstellen, dass sie mehr Jungen in der Klasse haben.
Lilian:
Ich habe zwar kein Informatik belegt, aber im Physikprofil war ich ein halbes Jahr lang das einzige Mädchen. Mich hat es nicht gestört und ich fand, dass die Jungen fast netter zu mir waren als untereinander. Auch die Lehrer haben mich nicht anders behandelt, weil ich das einzige Mädchen war.
Wisst ihr schon welchen Beruf ihr später ausüben möchtet?
Lilian:
Ich weiß es noch nicht genau, aber auf jeden Fall soll es die MINT-Richtung sein. Im Moment kann ich mir gut einen ingenieurtechnischen Studiengang vorstellen, da ich gerne Mathe mag. Physik und Chemie bringen mir auch Spaß, ich weiß nur nicht, ob mir die Forschung liegt. Bei der Wahl für ein Studienfach schaue ich, was mir Spaß bringt und wo meine Stärken liegen.
Jola:
Ich habe noch keine konkrete Berufsvorstellung. Ich möchte gerne studieren und ich denke, dass es ein MINT-Studiengang werden soll. Informatik und Mathe finde ich nämlich spannend und ich würde gerne in die IT-Branche gehen.
Habt ihr noch eine Anregung?
Wir wünschen uns, in der Zukunft ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der Informatik beziehungsweise in allen Berufen zu sehen. Wir glauben, dass wir Frauen die Chance geben müssen ihre Talente in klassischen „Männerberufen/-interessen“ wie Informatik zu entdecken. Mädchen müssen ermutigt werden, Informatik auszuprobieren und daran Freude zu finden.