September 13, 2020
Anna, Du hast erst die Laufbahn als Offizier bei der Bundeswehr eingeschlagen und studierst jetzt außerhalb der Bundeswehr eGovernance and Public Sector Innovation. Wie kam es dazu?
Es ist tatsächlich eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte. Ich war fast 15 Jahre lang Offizier bei der Bundeswehr. Angefangen habe ich dort im Jahr 2005. Nach meiner Grundausbildung und Ausbildung zum Offizier habe ich dann Politikwissenschaften an der Universität der Bundeswehr in Hamburg im Bachelor und Master studiert. Aufgrund meines ziemlich guten Abschlusses begann ich dann als Wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten, immer noch als Soldatin. Nach 14 Jahren stand ich vor der Entscheidung zur Verlängerung bei der Bundeswehr. Das brachte in mir die Frage auf: Will ich das weitermachen für den Rest meines Lebens oder ist es Zeit für eine Umorientierung, für etwas Anderes?
Durch Zufall bin ich dann in einigen Seminaren in der Google Zukunftswerkstatt gelandet. Frisch inspiriert bin ich auf meinen jetzigen Studiengang E- Governance & Public Sector Innovation gestoßen. Ein Pioneer-Studium an der KU Leuven (Belgien), der WWU Münster und der TalTech University in Estland, zusammengesetzt aus Wirtschaftsinformatik und Verwaltungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Zeitgleich dazu habe ich einige spannende Jobangebote im Bereich Politikwissenschaften erhalten. Ich schwankte also zwischen dem sicheren Weg, in einem mir bekannten Feld, und etwas komplett Neuem. Meine Entscheidung fiel dann auf das Studium. Ich habe mich beworben und studiere nun seit September 2019 wieder. Ich habe sehr internationale KommilitonInnen. Alle mit Berufserfahrung in den Bereichen Verwaltung, Jura oder Politikwissenschaften. Sehr spannend finde ich auch, dass wir innerhalb von zwei Jahren viermal unseren Standort ändern und woanders studieren. Und so bekomme fachlich aber auch persönlich mehr Erfahrungen. In meinem Mastersemester plane ich bereits parallel zu arbeiten. Was ich dann beruflich machen werde steht auch schon fest, der Vertrag ist bereits so gut wie unterschrieben.
Wie gefällt Dir das Studium bislang?
Ich habe sehr viel über mich selber gelernt, auch durch das ständige Umziehen in andere Länder. Der interkulturelle Austausch in den jeweiligen Städten und mit meinen KommilitonInnen aus 28 Ländern hat mich extrem bereichert. Doch auch fachlich im Bereich Digitalisierung und Informatik habe ich natürlich einiges gelernt. Schon jetzt habe ich das Gefühl über Digitalisierung mitreden zu können.
Im Rahmen deines Studiums warst du jetzt bereits in mehreren Ländern. Gibt es ein Land, das ein Benchmark im Bereich Digitale Verwaltung ist?
Definitiv Estland. Wobei die Situation hier eine andere ist. Estland ist ein kleines Land mit 1,3 Mio. EinwohnerInnen. Hier lassen sich Projekte schneller entwickeln und umsetzen, als in Deutschland mit über 80 Mio. EinwohnerInnen und einem föderalen System. Ich spüre hier einen fantastischen Entdecker- und Innovationsgeist. Ein total inspirierender Vibe. Um “Public Sector Innovation” zu studieren, ist Tallinn der richtige Standort. Hinzu kommt die offene Art und Hilfsbereitschaft. Ich glaube, ich könnte hier in Behörden und Ministerien anrufen, und tatsächlich Antworten auf meine Fragen bekommen. Das Mindset des Teilens von Informationen und Wissen ist hier ein anderes, als ich es bisher kannte. Sogar Belgien hat mich aufgrund ihres digitalen Service in der Verwaltung überrascht – trotz Föderalismus. Künstliche Intelligenz und proaktive Services werden hier bereits breit genutzt.
Wie war die Resonanz deines Umfelds auf deinen Wechsel?
Sehr gemischt. Was ich tatsächlich gehört habe waren Sprüche wie: ,,Du warst ja in der Schule immer schlecht in Mathe. Und dann jetzt was mit Informatik. Kannst du das überhaupt?” oder “Du hast doch so einen guten Abschluss in Politikwissenschaften, reicht dir das nicht erstmal?” Auch der Beginn eines neuen Studiums statt der Familienplanung war Gesprächsthema. Die Erwartungen meiner >Familie, eines sicheren Berufswegs mit Nachwuchs in den nächsten Jahren und mein Wunsch nach Weiterbildung gingen hier auseinander. Dadurch, dass meine Familie mitbekommt, dass ich Erfolg im Studium habe, glücklich bin, einen sicheren Job in Aussicht habe und nicht in der IT- Welt untergehe, haben sie sich damit mittlerweile gut angefreundet. Auch aus meinem Freundeskreis gab es positive und negative Resonanz. Mein Weg war eben nicht der, der erwartet wurde. Aber ich bin froh, dass ich den Weg gegangen bin. Vereinzelt höre ich sogar von Frauen, vor allem aus meinem alten Umfeld der Bundeswehr, den Wunsch, dass sie einen solch mutigen Wechsel auch gerne (früher) gemacht hätten. Vielleicht kann ich dadurch ja ein Vorbild für andere sein.
Was war denn überhaupt deine Motivation zur Bundeswehr zu gehen?
Ich fand das früher schon sehr spannend. Ich war sportlich und verbrachte auch gerne viel Zeit draußen. Auch, dass man bei der Bundeswehr ohne großen, finanziellen Aufwand studieren konnte, war eine Motivation für mich. Die Verbindung zwischen dem Studium und dem Draußen sein und Menschen um mich herum zu haben, fand ich toll. Natürlich ist der Job bei der Bundeswehr auch sehr sicher. Für mich war es auch einfach nichts Fremdes, da mein Vater ebenfalls Soldat war. Mich hat diese Welt fasziniert – mit all ihren Herausforderungen.
Apropos –Wie finanzierst du dir dein jetziges Studium?
Ich bin echt dankbar, da ich diesbezüglich in einer sehr komfortablen Situation bin. Der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr ermöglicht einiges. Das ist eine tolles Privileg.
Wie ist es als Frau bei der Bundeswehr? Wie ist der Anteil Frauen jetzt in deinem Studium?
Ich komme ja tatsächlich aus den Kinderschuhen, was Frauen bei der Bundeswehr betrifft. Erst wenige Jahre vor meinem Eintritt war es Frauen überhaupt möglich in alle Bereiche der Bundeswehr zu gehen. Als ich eingetreten bin lag der Frauenanteil im Heer bei ca.1%, zumindest unter den Offizieren. Es gab anfangs nicht einmal eine passende Uniform für mich. Es war alles einfach sehr männlich dominiert und hierarchisch strukturiert.
Ich habe lange überlegt, ob ich weiterhin als Soldat bei der Bundeswehr arbeiten möchte. Natürlich hat sich in der Zeit einiges geändert und vieles deutlich verbessert. DasThema Diversity war auch einer der Gründe weshalb ich persönlich mich letztendlich dagegen entschieden habe. Mir persönlich haben einfach weibliche Vorbilder gefehlt. Ich habe keine andere Frau mit einem höheren Dienstgrad getroffen, die für mich als Vorbild funktioniert hat. Mir hat jemand gefehlt, zu dem ich hinaufschauen kann, die glücklich in ihrem Beruf ist und meine Werte von Beruf, Familie und dem Leben teilt. Als Frau hat man auch nicht das gleiche interne Netzwerk wie als Mann. Die Formate, die es gab, haben mir häufig nicht zugesagt. Natürlich kann man auch selbst aktiv werden, so hat beispielsweise unsere Gleichstellungsbeauftragten gemeinsame Frühstücksrunden organisiert. Im Nachhinein hätte ich mehr in ein, sich gegenseitig bestärkendes Frauennetzwerk investieren können.
In meinem Studiengang hingegen ist der Frauenanteil unter meinen KommilitonInnen bei etwa 50%. Bei den Dozierenden ist das anders. In Tallinn habe ich nun ein komplett männliches Dozententeam – alles junge Männer. Im Gegensatz zum Semester in Münster, dort waren es fast ausschließlich ältere, männliche Dozenten. In Belgien habe ich immerhin zwei Frauen, unter anderem in Informatik.
Hast du nach deinem Karrierewechsel denn mehr Frauen kennengelernt mit deren Laufbahn Du Dich identifizieren kannst?
Ja, ich habe in meinem Studiengang viele interessante Frauen getroffen. Sie haben denselben Mut zur beruflichen Umorientierung bewiesen, wie ich auch. Eine Kommilitonin von mir meistert das Studium neben ihrem eigentlichen Job im Italienischen Ministerium für Digitalisierung. Sie macht das aus purem Interesse heraus und mit großer Freude und Hilfsbereitschaft. Eine Andere ist für unser Studium trotz Familie aus Kanada nach Europa gezogen, ohne hier eine einzige Person zu kennen. Diese mutige Entschlossenheit inspiriert mich.
Das klingt alles sehr aufregend und abwechslungsreich.
Ja, das ist es. Es ist auch manchmal anstrengend – insbesondere das Umziehen. Ich habe meine Komfortzone verlassen müssen und habe meine tolle Wohnung und meinen Verlobten in Hamburg erstmal zurückgelassen. Jetzt bin ich bereits dreimal umgezogen, führe eine Fernbeziehung, gehe wieder in der Mensa essen und schlage mich mit Uniformalia herum. Aber ich bin mit Mitte 30 in vielen Dingen gelassener geworden als noch vor 10 Jahren.
Und Du?
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