Woman in Tech Interview: Sandra über ihren Weg in der IT

August 26, 2020

Liebe Sandra, stelle dich doch mal in ein paar Sätzen vor:

Ich bin 2. Vorstandsvorsitzende der bundesweit mit neun Quartieren vertretenden Digital Media Women e.V. Im März 2020 habe ich begonnen Wirtschaftsinformatik zu studieren. Ich bin technischer Product Owner und Gründerin vom Online Marktplatz “Kitchennerds”. Und außerdem bin ich ein großer Fan von Initiativen wie moinworld, den PyLadies und vielen mehr, die Frauen für die IT empowern, die mögliche Wege aufzeigen und Frauen beim Programmieren lernen unterstützen.

Das klingt spannend. Kannst du mal etwas genauer von deinem persönlichen Weg erzählen?

Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Werbekauffrau gemacht, anschließend abends studiert und bin seit 2006 Kommunikationswirtin. Nach einigen Stationen in Werbeagenturen und anschließend im Marketing und Product Management habe ich mich 2013 mit meiner Online-Plattform Kitchennerds selbständig gemacht. Mittlerweile liebäugle ich immer mehr damit, auch Mal wieder für andere Produkte zu arbeiten – meine Firma läuft auch gut ohne mich. Im Sommer 2019 habe ich mich über die Scrum Alliance noch einmal offiziell als Product Owner zertifizieren lassen, einen Job den ich schon seit mehr als 10 Jahren ausübe. In Deutschland sind solche Scheine bei Bewerbungen relativ wichtig. Herausforderungen bin ich meist nicht abgeneigt. Und jetzt studiere ich seit März 2020 an der FOM Hamburg nebenberuflich Wirtschaftsinformatik.

Wer oder was hat dich inspiriert, den Schritt zu gehen, noch ein Studium in der technischen Richtung anzufangen?

Oh, genau genommen habt ihr sogar ein wenig Mitschuld daran ;). Danke für das große Empowerment! Und inspiriert durch mein persönliches Umfeld (viele männliche und auch ein paar großartige weibliche InformatikerInnen), hatte ich, Ende 2018, Python 1 und 2 bei Falco gebucht und mich zu der Zeit mit einer Bekannten zum Weihnachtsmarkt in Bremen getroffen. Als Mutter von zwei kleinen Kindern und auch aus dem Marketing kommend, hatte sie sich mit Ende 30 neben ihrer Festanstellung an der IUBH in Wirtschaftsinformatik eingeschrieben. Das erzählte sie mir zur richtigen Zeit.

Hast du dich schon früh für IT interessiert?

Ohja, ich war als Kind schon sehr technikaffin. Mein Opi war da damals unfassbar hinterher, dass das Mädchen sich auch für Technik interessiert und so gab es von ihm zum Geburtstag und Weihnachten immer technische „Spielzeuge“. Ob Walkman, später Discman, Roboter… alles bekam ich von meinem Opi. Seine Devise war, dass er mir damals alles ermöglichen wollte, was er sich in meinem Alter am liebsten auch selbst gewünscht hätte. Das hat mich schon ziemlich geprägt.

Wieso hast du dich nicht früher entschlossen Informatik zu studieren oder Programmieren zu lernen?

Das Interesse und der Gedanke, „Oh, das kann ich dann ja auch erlernen…“, kam erst, als die ganzen Programmierkurse in den Schulen auch für Mädchen mehr wurden und ich das großartige Angebot von moinworld für Frauen mitbekam. Klassiker: In der Schule wurde uns damals die Informatik AG als langweilig, staubig und vor allem für Jungs verkauft. Für Mädchen wurde es einfach nicht attraktiv gemacht sich da auszuprobieren und die Nachmittage an der Schule dafür zu „opfern“. Leider… Fast alle Jungs, die damals dahin gingen, haben übrigens aus meinem Jahrgang dann auch tatsächlich Informatik studiert. Ich habe oft gedacht, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte würde ich heute nach der Schule Informatik studieren und nicht mehr in die Werbung, bzw. ins Marketing gehen. Technisch interessiert war ich schon immer. Allerdings hatte ich damals aber noch nicht das Bewusstsein, dass ich das überhaupt schaffen könnte mit so einem Studium…

Wie war die Resonanz deines Umfelds auf deinen Wechsel?

Product Owner ist ein Beruf der üblicherweise auch von Informatikern ausgeübt wird, so gab es für mich keinen beruflichen Wechsel. Mein Lebensgefährte (selbst Informatiker) kannte schon lange meine Überlegungen. Er hatte recht verhalten reagiert, als ich ihn immer wieder in den letzten Jahren fragte, ob ich es wagen sollte. Mittlerweile unterstützt er mich sehr und scheint auch ein wenig stolz zu sein, dass ich es letztendlich gewagt habe. Meine Mutter findet es super, dass ich noch einmal studiere. Sie meinte, dass ich ja nichts zu verlieren habe und nur dazu gewinnen kann. Mein restliches Umfeld findet es auch sehr gut und für einige bin ich sogar eine Art Role Model geworden, was mich sehr schmeichelt und bestärkt diesen Weg so weit wie möglich zu gehen. Nur einmal gab es einen komischen Kommentar von meinem Onkel, dass meine 1,3 in Hardware (ich war eine der beiden Besten bei der Winfo Basic-Klausur) nur durch die Hilfe des Informatikers bei mir zu Hause käme. Das fand ich schon sehr schade, da mein Lebensgefährte da wirklich keinen Anteil daran hatte. Er meint sogar selbst immer wieder kein Hardware-Typ zu sein. Liegt ihm einfach nicht. Mittlerweile ist mein Onkel auch sehr stolz auf mich. Meine männlichen Mitgründer (alles Informatiker) übrigens auch.

Wie sieht es mit diversity in deinem Studiengang aus?

Klassischerweise ist der Frauenanteil leider nicht sehr hoch. Wir sind insgesamt 4 Frauen. Die Profs sind bei uns bis auf die Ausnahme Management Basics durchweg nur Männer gewesen und im kommenden Semester werden wir auch leider keine Dozentin dabei haben. Ich wünsche mir, dass auch künftig mehr IT- Frauen in die Lehre gehen, umso eine Durchmischung zu erhalten. Das Alter der Studenten liegt bei 20 - 42 Jahre. Ich bin nicht die Älteste ;) Mit einer Kommilitonin, ursprünglich Handelsfachwirtin und Gründerin eines E-Commerce Unternehmens, habe ich schnell den Deal geschlossen, dass wir uns gegenseitig empowern und motivieren das Studium bis zum Ende durchziehen. Meine Kommilitonin ist 27 Jahre alt und ein unglaublich großartiger Mensch, die sich auch sehr gegenseitiges #femaleEmpowerment unter den Kommilitoninnen gewünscht hat.

Wie wohl fühlst du dich in deinem Studiengang?

Aktuell fühle ich mich sehr wohl im Studiengang. Ich habe eine großartige Lerngruppe, zu der ich regelmäßigen Kontakt pflege. Die anderen Kommilitonen lerne ich nach und nach kennen. Corona hat uns dort einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach 2 Wochen Präsenz kam am 20. März der Lockdown. Das Präsenzstudium wurde zum Fernstudium. So habe ich die anderen Kommilitonen bisher nur noch kurz zu den Prüfungen und anschließendem Absacker am Ende des Semesters gesehen. Die Inhalte des Studiums gefallen, entsprechen meine Erwartungen, sind schön techniklastig und vor allem sehr Praxisorientiert. Ich bin schon sehr gespannt auf die kommenden Module wie Datenbankmanagement und objektorientierte Programmierung mit Java.

Wie bist du auf moinworld gestoßen?

Oh, so 100% sicher bin ich mir nicht, wann das war. Ob es erst 2016 im Mindspace beim Gründerinnen-Abend von uns #DMW, wo Anja mit auf dem Podium saß, war? Oder doch schon einen Tick eher? Spätestens seit dem #DMW-Themenabend „Selbst ist die Frau“ im April 2016 ist mir die Initiative von Anja auf jeden Fall ein Begriff und in den letzten Jahren bin ich auch sehr gerne auf moinworld Events gegangen, wenn es mir möglich war. - Es sind immer wieder ganz großartige Abende mit viel Inspiration, spannenden Frauen und sehr viel Empowerment!

War moinworld wichtig für dich?

Ja, Moinworld war absolut wichtig für mich. Durch das Angebot des Netzwerkes gezielt an Frauen, habe ich mich endlich getraut programmieren zu lernen. Ich finde es großartig, dass es das Angebot gibt sich auch in mehreren Programmiersprachen auszuprobieren und spannende Mitstreiterinnen kennenzulernen und sich mit denen über den Kurs hinaus zu vernetzen. Die Meetups sind für mich jedes Mal sehr inspirierend und mich begeistert die Power, die ich dort auch immer wieder vor Ort erlebt habe, die die Frauen mitbringen. Power, die mich anschob und auch ermutigte einen Schritt weiter zu gehen und mich letztendlich einzuschreiben. Moinworld hat ein wenig Mitschuld, dass ich nun Wirtschaftsinformatik studiere. Danke für den euren, nicht bewussten, A… tritt…! ;)

Du hast dich ja auch früh selbständig gemacht, wie war dieser Prozess für dich? Wie hast du dich gefühlt? Wo bist du an deine Grenzen gestoßen? Denkst du, dass es von Bedeutung hierfür war, dass du eine Frau bist?

Ich muss gestehen, dass ich am Anfang schon sehr viel Ehrfurcht vor der Selbständigkeit hatte, obwohl ich schon länger den Wunsch gespürt hatte etwas Eigenes zu gründen. An UnternehmerInnen in meinem Umfeld als Vorbildern mit Tipps mangelte es auch nicht. Auch hier half mir ein Netzwerk mit vielen selbständigen Frauen wieder. In dem Fall waren es die Digital Media Women e.V. Die haben mir gezeigt, was alles möglich ist, neben der Ermutigung und Unterstützung meines Lebensgefährten, halfen sie mir sehr, endlich diesen Schritt zu wagen. Gleich zu Beginn bin ich allerdings schon sehr schnell an die Grenze gestoßen, dass ich nicht selbst programmieren konnte und meine Idee nun einmal ein Online-Marktplatz war. Entwickler als Mitgründer zu finden war unfassbar schwer, da die, die ich ansprach, ungerne auf ihr sehr gutes Gehalt aus der Festanstellung verzichten wollten, obwohl sie das Produkt spannend fanden und ein alternatives Gehalt in gewünschter Höhe kann man nun Mal als Startup ohne Einnahmen einfach nicht von Null auf finanzieren. Am Ende kam es dann zu der Lösung, die wir eigentlich verhindern wollten (berufliches und privates miteinander zu vermischen) und so stieg als technischer Partner, die epublica GmbH, als Mitgründer und Gesellschafter von Kitchennerds ein. Ansonsten gab es keine weitere finanzielle Unterstützung außerhalb des Kreises. Ob das daran liegt, dass ich eine Frau bin? Ich bin mir nicht sicher.

Wie sieht es mit Diversity in deinem Team aus? Achtest du darauf bei deiner Firma?

Ja, das ist mir sehr wichtig, auch wenn ich mit nur Männern gegründet habe. Geschieht die Zusammenarbeit zum größten Teil für die Plattform mit Frauen. Bei den Köchen, die auf der Plattform gelistet sind, freue ich mich immer sehr über den sehr hohen Frauenanteil an gelernten Profiköchinnen, die auch größtenteils selbst Küchenchefin im Gastronomieunternehmen sind oder waren. Das ist wie in der IT eine sehr männlich dominierte Branche und entsprechend macht es mich sehr stolz so viele großartige und sehr gut ausgebildete Köchinnen dort sichtbar zu machen.

Wie ist deine persönliche Vision für die nächsten Jahre?

Ich möchte meine Erfahrungen und mein Know-how auch für andere Unternehmen einsetzen und auch wieder mit anderen Teams (ob in Festanstellung oder als Freelancerin) gemeinsam Produkte entwickeln. In den kommenden 2 Jahren möchte ich durch meine Funktion als 2. Vorstandsvorsitzende der #DMW mehr Frauen empowern ihren Weg zu gehen und die Digitalisierung als ihre große Chance zu verstehen. Und bei Interesse, sich auch entsprechend weiterzubilden und in die IT zu gehen. Ich möchte, dass sich die Netzwerke stärker zusammenschließen, durch gemeinsame Aktionen diesen Weg bereiten und dadurch auch Unternehmen sensibilisieren mehr Frauen in der IT einzustellen sowie in Führungspositionen zu befördern. Gemeinsam sind wir stark! In 2023 möchte ich meinen weiteren Bachelor in der Tasche haben und im next Step einen Master in Artifical Intelligence erreichen.

Wie ist deine Vision bezogen auf die IT-Branche generell?

Ich wünsche mir mehr Frauen in der IT, und weniger Frauen, die die IT wieder verlassen (was ich leider auch immer wieder miterlebe). Heterogene Teams sind, wie viele Studien beweisen, deutlich effizienter, innovationsfreudiger und gewinnsteigender, als homogene Gruppen. Es ist wichtig, dass es auch in der IT mehr weibliche Führungskräfte gibt, und am besten 30% in den obersten Etagen. Man(n) muss sie bitte (nicht nur in Krisenzeiten als „Retterin“) durch die gläserne Decke lassen, wenn sie die gleiche Kompetenz und die gleichwertigen Leistungen, wie ihre männlichen Mitbewerber mitbringen. Es soll mehr Programmiererinnen geben, um den Code, an den entscheidenden Ebenen diverser zu gestalten. Ich wünsche mir mehr Frauen, die in der Schule und an Unis Informatik lehren und so Role Models für Mädchen und junge Frauen sind. Und als wichtige Basis von allem müssen regelmäßige unconscious Bias Schulungen ab der KiTa, über die Schule, bis hin zum Unternehmen her, um diese unbewussten Vorurteile aufzubrechen. Denn bis in die 70er Jahre gab es deutlich mehr Programmiererinnen, als ihre männlichen Kollegen. IT war mal eine Frauen-Domäne, was viele heutzutage leider vergessen haben.

Hast du Role Models?

Ohja, die habe ich! Role Models sind wichtige Vorbilder und Wegweiser für den eigenen Weg. Es sind Frauen, die mich durch ihr Engagement, ihre Pläne und was sie schon erreicht haben unglaublich inspirieren und motivieren. Ich denke da z.B. an unsere ganzen Hamburger IT-Frauen, wie u.a. Anja Schumann (moinworld), Diana Knodel (AppCamps / Fobizz), Avaré Stewart & Tereza Iofciu (PyLadies & Women in AI), Julia Freudenberg (Hacker School), Julia Heidinger & Sabrina Jodexnis (Social Developers Club). Petra Wille die ich schon seit einigen Jahren noch durch XING kenne und die sich international ganz großartig als Product Owner positionieren konnte. Ich finde es großartig, was viele Frauen für mehr Sichtbarkeit und Empowerment in der Branche auf die Beine stellen und mit anderen teilen. Ein weiteres Rolemodel für mich ist meine langjährige Freundin Christiane Brandes-Visbeck. Mich begeistert ihre nie endende Innovationsfreudigkeit und was sie gerade in den letzten Jahren erreichen konnte. Ich finde es spannend von vielen die Entwicklungswege live mitzubeobachten. So auch bei der Schwester meines Freundes: ein weiterer Master mit 50 und nun seit kurzem mit 54 eingeschrieben, um zu promovieren. Der Master mit 50 hatte ihr noch einen super Karriere- und Gehaltssprung verschafft.

Und Du?

Wenn Du ebenfalls andere mit Deiner Geschichte motivieren möchtest kontaktiere uns moin@moinworld.de!